Noch setzt sich lokalpolitische Vernunft in Suhr nur zögerlich durch: Wenn das echo noch vor wenigen Tagen den sich abzeichnenden Realismus und die Rückkehr zur Sachpolitik gelobt hat, muss es nach dieser Gemeindeversammlung feststellen, dass dies wohl nur für die Behördevertreter weitgehend zutrifft. Verschiedene Parteiexponenten verbleiben in den Schützengräben der Polit-Rhetorik, scheinen sich an Ideen des permanenten Wahlkampfes zu orientieren.
Vor allem beim Budget 2011 ist der Antrag der FDP auf Steuerfusssenkung von 110% auf 105% nur mit Ideologie erklärbar. Wer bei einem Budget, in dem aus eigenen Mitteln nicht einmal die gesetzlich vorgeschriebenen Abschreibungen finanziert werden können, und Investitionen von 3,5 Mio. weitgehend mit Fremdgelder bezahlt werden müssen, eine Steuersenkung fordert, entfernt sich von jeder zukunftsgerichteten Finanzpolitik. Und so wurde es denn auch begründet: Nur ein armer Staat, eine arme Gemeinde sei eine gute Gemeinde, nur wenn das Geld an allen Ecken fehle, sei garantiert, dass mit Steuermitteln haushälterisch umgegangen werde. Ja, das ist eben freisinnige „weniger Staat-Ideologie“ wie wir sie seit Jahrzehnten kennen. Eine Verunglimpfung auch der eigenen Mitglieder in den Behörden, denen auch nicht mehr Vertrauen entgegengebracht wird als den andern. Das Festhalten an derartigen Rezepten hat auch den Niedergang der einst so stolzen FDP mitgeholfen zu beschleunigen. Das Ankämpfen gegen den Staat als „Feind“, das undifferenzierte Hochhalten des freien Marktes und des freien Unternehmertums als Motor des Wohlstandes lässt sich nach dem Swissair-Fall, Bankendebakel und nach Abzockerdiskussionen schlicht nicht mehr halten.
So hat denn auch in Suhr die Gemeindeversammlung letztlich der Ideologie eine Abfuhr erteilt und dem Gemeinderat mit der Zustimmung zum Budget 2011 und dem Steuerfuss von 110% das Vertrauen ausgesprochen.
Das Vertrauen wurde dem Gemeinderat auch mehrheitlich bis einstimmig bei den andern Geschäften entgegengebracht. Am gewichtigsten bei der Rechtsformänderung der Technischen Betriebe TBS, die neu privatrechtlich organisiert weiterhin im öffentlichen Interesse arbeiten sollen. Erstaunlicherweise wurde hier nicht thematisiert, dass dieser Bereich der Versorgungsbetriebe künftig den Entscheidungen der Gemeindeversammlung mit Ausnahme des theoretischen Aktienverkaufs völlig entzogen worden ist.
Das Mischwasserbecken, das zum dritten Mal vor der Gemeindeversammlung zur Beurteilung stand, wurde wegen der sich abzeichnenden Kostenexplosion stillschweigend abgelehnt. Niemand äusserte sich, aber offenbar war gut organisiert abgemacht worden, dass „man“ einfach NEIN sagt. Nein-Sagen als politischen Programm? Nun wird der Kanton die Gemeinde verpflichten, die vom Gewässerschutzgesetz geforderte Anlage umzusetzen (und zu bezahlen); billiger wird es damit sicher nicht.
So wird die Gemeindeversammlung degradiert zu einem Protestforum, wo man ungeachtet realpolitischer Bedürfnisse, einfach mit dem Bauch entscheidet. Das gab es zwar schon immer, lange blieben aber diese Unmutsäusserungen jeweil in der Minderheit, haben nicht zuletzt zur Erheiterung und Auflockerung der sonst so stieren Versammlungen beigetragen und letztlich hat eine klare Mehrheit konstruktiv entschieden. Solange war die Gemeindeversammlung als urdemokratische Zelle unseres Staates auch sachgerecht. Heute ist sie oft von der Komplexität der Geschäfte überfordert und schon lange ist sie mit der schwachen Beteiligung (diesmal 4% der Stimmberechtigten) nicht mehr demokratisch legitimiert. Da ist das vom Gemeinderat budgetierte Entwicklungsleitbild für Suhr wirklich dringend nötig. Wie weiter mit der Suhrer Lokalpolitik?